S. F. Hallo Marcel, danke dass du dir für uns Zeit nimmst. Kannst du unseren Lesern etwas aus deiner Biografie erzählen. Wie bist du von Frankfurt nach Dresden gekommen?
M.W. Ich bin 1983 in Friedberg in Hessen geboren, im Rhein-Main-Gebiet aufgewachsen. Von Frankfurt nach Hanau usw. Ich habe dann in Offenbach mit meinem Grundstudium visuelle Kommunikation angefangen. Vorher war Graffiti angesagt. Nach meinem Grundstudium hatte ich buchstäblich die Nase voll von meiner Heimat und bin nach Dresden gekommen, um hier Kunst an der Akademie zu studieren. Dresden hat mir auch die nötige Distanz zu Frankfurt verschafft. Hier in Dresden habe ich dann 2012 mein Diplom bei Prof. Eberhard Bosslet abgeschlossen und war dann bei ihm noch in der Meisterschülerklasse bis ich als Meisterschüler 2014 abgeschlossen habe. Dresden hat auf jeden Fall gerockt, hat Spaß gemacht.
S.F. Marcel, du bist von Dresden wieder zurück nach Frankfurt/Main gezogen. Wie hat sich dein Blickwinkel auf die Stadt verändert? Wie schätzt du die Stadt mit der nötigen Distanz ein, in der du ja doch ein paar Jahre deines Lebens verbracht hast?
M.W. Das ist eine schwierige Frage. Man kann es wohl so sagen: wenn man ein wenig Lokalpatriotismus entwickelt hat, bleibt man eventuell auch hier (lacht). Aber wenn man nur für das Studieren in die Stadt kommt beziehungsweise sich nicht unbedingt festlegen will, spielen Berlin und auch Leipzig eine wichtige Rolle, an denen man sich orierentiert. Bei mir war es halt Frankfurt. Dresden ist dann eher eine Zwischenstation. Zurück in Frankfurt bin ich dann wieder in mein altes Netzwerk gefallen, sozusagen in ein gemachtes Nest (lacht).
S.F. Um die Frage vielleich noch etwas zu präzisieren, wie verhälst du dich als Künstler zu dieser Stadt. Du hast es eventuell mitbekommen, dass einige sehr beachtenswerte sowie begabte Künstler die Stadt verlassen. Kannst du einen solchen Schritt nachvollziehen?
M.W. Das man sich hier lediglich selbst beweihräuchert, sich selbst beglückt und sich ständig die selben Leute die Klinke in die Hand geben, ist offensichtlich. Es gibt dann ja auch so eine Art Cliquenkunst. Das selbe Material, das selbe Thema. Das hat man dann schnell durchschaut. Klar, ich kann das absolut nachvollziehen von hier weg zu gehen. Irgendwann dreht sich alles im Kreis. Man erreicht letztendlich ein Stadium, indem nichts mehr fruchtet. Dann können noch soviel innovative Projekte an den Start gehen, es führt leider nur bis zu einer gewissen Grenze und dann… Das hängt aber auch mit den Institutionen und der Politik in der Stadt selbst zusammen. Vielleicht sind nicht so sehr die Leute das Problem. Denn letztendlich werden in Frankfurt die gleichen Gespräche geführt, es gibt einen ähnlichen Einheitsbrei. Eigentlich hat man in Frankfurt die selben Zukunftsängste und trägt die gleichen Klamotten (lacht). Es ist halt wichtig über den Tellerand zu schauen, um seinen Horizont erweitern zu können. Mehr kann ich dazu nicht sagen, da stecke ich zu wenig drin.
S. F. Wie ist es als Künstler in Frankfurt gegenüber Dresden? Welchen signifikanten Unterschied kannst du für dich ausmachen?
M. W. Um das Thema Netzwerk nochmal aufzugreifen. In Frankfurt mache ich angewande Kunst im öffentlichen Raum aber auch Grafik- und Webdesign. Darüber hinaus arbeite ich noch für Firmen. Etwa für Bosch habe ich mit meinen Mitstreitern eine riesige Skultpur aus den blauen Tools gebaut, Bohrmaschinen, Akkuschrauber etc. Der Unterschied zwischen Dresden und Frankfurt liegt schlicht und ergreifend daran, dass man dort immer die Möglichkeit hat mit seinen Mitteln, die man erlernt hat, Geld verdienen zu können. Was hier vor Ort natürlich schwieriger ist. Das ist ohne Frage ein Problem, wenn man künstlerisch und heilwegs unabhängig weiterkommen will. Mit meiner Arbeit kann ich mich auch handwerklich weiterentwickeln und ziehe aus den Dingen, die ich für Firmen entwickle, wiederum neue Dinge für meine Kunst heraus. Quasi selbstinduktiv.
Wenn man dann doch über Kunst in Frankfurt zu sprechen kommt, sieht es natürlich so aus, dass die Städelschule ein enormes Gewicht hat, da geht fast nix drüber. Man kann es vielleicht überspitzt beschreiben: als Erstsemester wird man dort schon den Sammlern vorgestellt. Aber die meisten kommen auch aus einem gemachten Haus, die haben keine Probleme. Es ist dann auch Kunst, die dann beispielsweise soziale Probleme aus dem Blickwinkel einer gehobenen Gesellschaftsschicht betrachtet, wenn man das so sagen kann. Als Außenstehender ist es dann schon schwierig dort mitzumischen. Zumal wenn man in Offenbach studiert hat. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Kontinuität für einen Künstler wichtig ist, und das nicht nur auf mich bezogen. Man muss halt dran bleiben, sonst wird das nix.
S. F. Um den Bogen jetzt nochmal auf Dresden zu lenken, was hat dich dazu bewegt, wieder in Dresden auszustellen; wie kam die Zusammarbeit mit Holger John zustande?
M.W. Man kennt sich gut. Ich schätze ihn, er anscheinend mich (lacht) und er hat mir das Vertrauen geschenkt. Zudem will ich Dresden nicht aus den Augen verlieren. Du bist doch auch letztes Jahr zu „meiner“ Ausstellung in den Salon Pendant gekommen? („Frolik, Judisch, Walldorf – In Oel – When Sulptures Paint/ Feb. 2014 Gruppenausstellung im Salon Pendant)
S.F. Ja, klar. Die Show war großartig.
M.W. Hier vor Ort habe ich eine Einzelausstellung bekommen. Es ist schon etwas anderes. Keine Gruppenausstellung zu haben, wo das Publikum nur einen Teil sieht. So kann ich einen ganzen Themenkomplex aufgreifen und ausstellen, wo man auch mal eine schwächere neben einer ausdrucksstarken Arbeit platzieren kann. Ich glaube, das macht schon etwas aus. Dem Betrachter kommt dem Künstler etwas näher, es wird intimer und damit persönlicher.
S. F. Wie kommst du zu diesen Ausstellungstitel Lügenhesse?
M. W. Ich will mich jetzt natürlich nicht politisch positionieren. Der Titel passt zu den aktuellen Ereignissen, die mir in Frankfurt natürlich nicht verschlossen bleiben. Dresden beziehungsweise ein Teil der Leute hier schlüpft gern mal in die Opferrolle, das ist zum Teil historisch bedingt. Damit muss man umgehen. Natürlich liegt es mir nicht daran, mit erhobenen Zeigefinger auf Dinge aufmerksam zu machen. Naja, vielleicht ein bisschen.
Vielleicht noch etwas zu mir. Ich habe mich ja auch nie als Westdeutscher verstanden. Erst hier in meiner WG in Dresden wurde ich damit konfrontiert. Da kommen einen natürlich die wohlwollenden Versprechungen von westlicher Seite in den Sinn, die sich für den Einen oder Anderen nicht erfüllt haben. Insofern sind auch hier historische Analogien, die vielleicht im Ausstellungstitel mitschwingen. Ich will mich auch nicht zuweit aus dem Fenster lehnen. Der Ausstellungsbesucher soll über die Kunst urteilen, mir steht das eigentlich nicht zu.
S.F. Den Aspekt möcht ich gern aufgreifen. Wieviel Ironie steckt in deinen Werken?
Sehr viel auf jeden Fall. Das ist ein Thema, das ist in jeder meiner Arbeit vorhanden. Ironie: da ist für jeden Etwas dabei. Wie oben das Einhorn (Gemeint ist Everybodys Darling, ein Pferdekopf mit aufgesetzter Karotte in der 1. Etage der Galerie Holger John). Denn nur ganz reine Wesen oder eben Jungfrauen konnten Einhörner sehen. Man schmückt sich auch heute gern mit fremden Federn und ist dann etwas Besonderes (lacht). Das Einhorn war in der frühen Neuzeit natürlich auch eine Art Herrschaftsinsignie. Das Einhorn (Narwal) besiegen, heißt das Unnatürliche als guter Christ, Herrscher von Gottes Gnaden überwinden. Im Übrigen ein Gründungsmythos der Wunderkammer. Das passt doch zur Ausstellung, oder?!
Hast du ein besonderes Werk mitgebracht?
Nein, habe ich nicht. Es geht hier um einen Teil meines Gesamtwerks ohne jetzt eine Retrospektive gemacht haben zu wollen.
S.F: Eine letzte Frage. Kannst du in Frankfurt etwas empfehlen, Secret Places?
Häng mit mir rum, wir gehen von Trinkhalle zu Trinkhalle. Frankfurt ist hässlich, da ist es eher schwierig Touristen herumzuführen (lacht).
S.F. Abschließend möchte ich gern von dir noch eine Frankfurter Spezialität wissen, die du sehr empfehlen kannst.
Apfelwein natürlich, Handkäs mit Musik. Apfelwein gibt es auch hier, habe ich mitgebracht. Prost.
Vielen Dank Marcel Walldorf für das Interview. Viel Erfolg für die Ausstellung.
Das Interview führte Stephan Franck in der Galerie Holger John (5.02.2015).
Die Ausstellung „Lügenhesse“ ist noch bis zum 31.03 in der Galerie Holger John zu sehen.